Online-Handbuch «Kinderhandel»

Prävention, Identifizierung und Betreuung minderjähriger Opfer

Weshalb wurde dieses Handbuch verfasst?

Von Ausbeutung und Gewalt betroffene Kinder können nur Hilfe erhalten, wenn ihre Not erkannt wird. Verbrechen, die unter der Kategorie Menschenhandel laufen, sind aber oft schwer aufzudecken. Die Täterinnen und Täter handeln professionell und in internationalen Netzwerken, und sie verwischen ihre Spuren gekonnt. Die Betroffenen brauchen viel Mut, um über Geschehenes zu berichten. Und wenn sie minderjährig sind, ist es ungleich schwieriger, an entsprechende Hinweise zu gelangen. In der Schweiz wurden in den vergangenen Jahren nur wenige Opfer von Kinderhandel identifiziert.1 Zum Teil werden die Opfer vom Ausland in die Schweiz gebracht, oder es sind Kinder, die hier aufgewachsen sind.

Unterstützung im Umgang mit Betroffenen

Der Nationale Aktionsplan gegen Menschenhandel (NAP) sieht in der Information über Menschen- und Kinderhandel und in der Erkennung möglicher Opfer insbesondere von Minderjährigen2 wichtige Handlungsfelder. Das vorliegende Handbuch soll Fachleute unterstützen und ihnen dabei helfen, Kinder zu schützen. Es liegen bereits international und schweizweit gültige Indikatoren (PDF) zur Identifizierung von Opfern von Menschen- und Kinderhandel vor. Das Handbuch ergänzt sie und gibt Anleitungen, wie mit Betroffenen von Kinderhandel im Allgemeinen und im Asylverfahren umgegangen werden soll. Weiter hat es zum Ziel, Behörden und Fachleute verstärkt für Kinderhandel zu sensibilisieren. Der Blick für verschiedene Risikosituationen und besonders verletzliche Gruppen von Kindern soll geschärft werden: Wie erkenne ich einen Verdachtsfall? Welche Signale deuten auf eine Ausbeutungssituation hin? Wer sind die Ausbeuterinnen und Ausbeuter? Welche Kinder sind besonders gefährdet, Opfer von Kinderhandel zu werden? Das Online-Handbuch thematisiert neu auch die sexualisierte Gewalt gegen Kinder online.3

Liegt ein Verdacht auf Kinderhandel vor, müssen die nächsten Schritte, die sofortige Unterstützung und der Schutz der minderjährigen Person, einem kindzentrierten Ansatz folgen: Das übergeordnete Interesse des Kindessteht dabei stets im Zentrum. Der Staat hat die Pflicht, das Kind vor Diskriminierung zu schützen; das Leben und die Entwicklung des Kindes sind bestmöglich zu fördern. In allen Verfahrensschritten sind die Meinung und die Mitwirkung des Kindes zu respektieren.

1 Vgl. Report concerning the implementation of the Council of Europe Convention on Action against Trafficking in Human Beings by Switzerland. Second evaluation round, October 2019, www.coe.int/en/web/anti-human-trafficking/country-monitoring-work, S. 8

2 Vgl. NAP 3 strategisches Ziel 6

3 Sexualisierte Gewalt gegen Kinder online muss nicht zwingend Kinderhandel sein.

4 Gemäss Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, die die Schweiz 1997 ratifiziert hat, steht das Grundprinzip des Kindeswohls im Zentrum aller Entscheide. Im Sinne des englischen und des französischen Wortlauts, der den Sinn und Zweck noch präziser wiedergibt, verwendet dieses Handbuch meist den Begriff «das übergeordnete Interesse des Kindes» (the best interest of the child / l’intérêt supérieur de l’enfant). Wird der Ausdruck «Kindeswohl» verwendet, so ist er im Sinne des «übergeordneten Interesses des Kindes» zu verstehen und anzuwenden.

 

Was hat die Schweiz bisher unternommen?

Die Schweiz ist Ziel- und Transitland für Menschen- und Kinderhandel und hat in den vergangenen Jahren diverse Massnahmen im Kampf gegen Menschenhandel umgesetzt. So wurde unter anderem die Fachstelle zur Bekämpfung von Menschenhandel und Menschenschmuggel (FSMM ehemals KSMM) geschaffen und beim Bundesamt für Polizei (fedpol) angegliedert. Der Bund hat 2012 den Nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel lanciert, der 2017 in eine zweite Phase und 2022 in die dritte Phase übergangen ist. Der Kampf gegen die Menschenhändlerinnen und -händler, die sehr gut organisiert sind, bleibt enorm schwierig.

Wichtig ist daher ein stetiger Informationsaustausch aller Akteurinnen und Akteure. Effektiver Kindesschutz erfordert starke Vernetzung und überinstitutionelle Zusammenarbeit. Die kantonalen «Runden Tische Menschenhandel» sind ein wichtiges Instrument und müssen weiter ausgebaut werden. So soll der Einbezug von Vertretungen aus dem Asylbereich, Arbeitsinspektion und der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) gefördert werden. Auch die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) empfiehlt den Kantonen, Massnahmen zur Früherkennung und Bekämpfung von Kinderhandel zu ergreifen.

Im Auftrag des fedpol erarbeitete das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) einen Bericht über die Ausbeutung Minderjähriger im Kontext von Menschenhandel («Kinderhandel») in der Schweiz. Die Untersuchung hat explorativen Charakter und liefert Erkenntnisse über die allgemeine Lage, über Formen und Ausmass der Ausbeutung von Minderjährigen im Kontext von Menschenhandel. Ausserdem schafft sie eine Übersicht über Institutionen und Organisationen, die sich in der Schweiz mit dem Thema befassen, sowie über bestehende Angebote und Massnahmen. Die Studie war Bestandteil des Nationalen Aktionsplans gegen Menschenhandel 2017–2020.

Wie soll das Online-Handbuch benutzt werden?

Das Online-Handbuch legt dar, in welchen Situationen Kinder besonders in Gefahr sind, Opfer von Ausbeutung zu werden, und verschafft einen Überblick über die Risikofaktoren und die Erkennungsmerkmale von Opfern von Kinderhandel. Zudem zeigt es Situationen auf, in denen für Betroffene besondere Chancen liegen – vorausgesetzt, dass Fachpersonen genau hinschauen und bei einem Verdacht weitere Abklärungen veranlassen. Die vorliegenden Empfehlungen und Checklisten veranschaulichen, wie Behörden und Fachleute bei Abklärungen und der Befragung der potenziellen Opfer von Kinderhandel vorgehen sollten.

Wichtig ist, dass in jeder Etappe ein kindzentrierter Ansatz befolgt wird. Jede minderjährige Person, also jede Person unter 18 Jahren, ist in erster Linie als Kind im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention zu behandeln – unabhängig von Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus oder Art der Ausbeutung.

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